Welche Bahnstrecken durch Orkane gefährdet sind.
Am 5. Oktober 2017 traf Sturm Xavier am frühen Nachmittag auf Norddeutschland und führte zu einem bis dahin seltenen Ausfall des Nah- und Fernverkehrs in der Region. Umgestürzte Bäume waren vielerorts der Grund, dass die Strecken tweilweise erst nach Tagen wieder frei gegeben werden konnten. Ausgehend von einer Arbeit im Rahmen des ITS-Hackathons 2017 haben wir uns mit Hilfe einer Reihe von Geodatenauswertungen und Videoanalysen diesem Problem genähert.
Die Deutsche Bahn unterhält mit über 33.000 km das längste Eisenbahn-Schienennetz in Europa. Insbesondere bei Stürmen und wetterbedingten Ausfällen sorgen bis zu 41.000 Mitarbeiter für die Wiederherstellung des regulären Fahrbetriebes.
Da sich täglich rund 4,5 Millionen Pendler auf den einwandfreien Betrieb verlassen, stellt die Bahninfrastruktur einen entscheidenend Stellenwert für die Wirtschaft dar. Neben der DB Netz AG und den Eisenbahnverkehrunternehmen leiden daher ein Großteil der Unternehmen unmittelbar von Schäden an der Bahninfrastruktur.
Obwohl wiederholt Streckenabschnitte durch umgestürzte Bäume gesperrt werden müssen, gibt es gute Gründe Bäume in der Nähe von Strecken zu belassen. Denn der Wald bietet nicht nur der Tier- und Pflanzenwelt einen Schutz, sondern auch Zügen.
Insbesondere für Hochgeschwindigkeitszüge stellen Seitenwinde eine Gefahr da. Da die Angrifffläche im Verhältnis zur Spurweite sehr groß ist, gilt es ein Umkippen um jeden Fall zu verhindern. Neben Geschwindigkeitslimits und technischen Lösungen können Bäume und Wälder die Seitenwindstabilität daher zum Teil begünstigen.
Unsere Analyse hat ergeben, dass vor allem Strecken im Norden und Osten Deutschlands gefährdet sind.
Die rot eingefärbten Streckenabschnitte führen durch Nadelwälder, die aufgrund ihrer flachen Wurzelung bei Sturmereignissen eine erhöhte Gefährdung aufweisen.
Gut sichtbar sind beispielsweise die Schnellbahnstrecken Hamburg - Berlin sowie Hamburg-Hannover, welche durch Sturm Xavier stark beeinträchtigt wurden. Nicht eingerechnet in die Auswertung ist die Anfälligkeit einer Strecke für Orkane an sich.
Xavier schlug Anfang Oktober 2017 zu und war damit ungewöhnlich früh für einen Orkan. Im langjährigen Mittel treten Orkane eher in der Ausprägung des Wintersturms auf. Frühe Stürme entfalten eine höhere Wirkung, da sie auf belaubte Bäume treffen, welche dann schneller umfallen.
Bäume können eine Gefahr für den Bahnverkehr darstellen, wenn sie höher sind als ihre Distanz zur Strecke.
Man unterscheidet bei Bäumen zwischen Pfahl-, Herz- und Flachwurzlern, wobei das größte Risiko im Sturm von den Flachwurzlern ausgeht.
Lockere Sandböden geben Bäumen in der Regel weniger Halt als schwere Lehmböden.
Letztlich entscheidet natürlich die Windstärke darüber, ob ein Baum eine Gefahr für den Bahn darstellt.
Nicht jeder Baum und Wald stellt die gleiche Gefährung für das Streckennetz dar. Je nach Windstärke und -richtung, sind es vor allem das Zusammenspiel aus Distanz zur Strecke, Wurzeltiefe und Bodenbeschaffenheit, die das Risiko eines Baumes bestimmen. Bäume mit Pfahl- und Herzwurzelsystemen zeichen sind häufig durch ein sehr dichtes und tiefes Wurzelwerk aus. Stehen Sie in beispielsweise auf festem Lehmboden, halten sie Stürmen länger stand als Bäume mit flachen Wurzeln auf Sandboden.
Identifizierung von Hot-Spots durch Videoanalysen
Heute nutzen viele Verkehrsunternehmen fahrzeugbasierte Kamerasysteme, um ihre Routen zu erfassen und mögliche Probleme auf der Strecke zu identifizieren: seien es Gefahren durch Vegetation oder defekte Infrastrukturen.
Durch die Kombination von 3D-Rekonstruktionsmethoden aus zweidimensionalen Videos mit maschinellen Lernansätzen zur Objektklassifizierung können diese Videos in detaillierte Punktwolken umgewandelt werden. Die Ergebnisse liegen unter der Detailgenauigkeit von Lidar, sind aber kostengünstig und können ohne neue Hardware produziert werden.
Bei den von civity durchgeführten Tests wurden reale Bilder von Fernzügen verwendet. Die Qualität der Strukturerkennung verbessert sich bei niedrigeren Geschwindigkeiten. Innerhalb der Punktwolken können Lichtraumprofile importiert und überprüft werden, um die Sicherheit des Strecken zu gewährleisten. Das System befindet sich im Prototypenstatus und kann auf Videomaterial unserer Kunden getestet werden.
Hamburg im Fokus
Für unsere Analyse haben wir alle Bäume in einer Nähe von 20m zu einer Bahnstrecke betrachtet, die in Sandboden stehen. Ebenso haben wir nur solche Bäume berücksichtigt, die auf öffentlichen Flächen stehen und auf welche Behörden einfacher Zugriff haben.
Die Karte stellt einen Ausschnitt des Streckennetzes im Bereich Hamburg dar. Basierend auf der Klassifizierung haben wir mehrere Problemstellen identifiziert. Noch nicht berücksichtigt sind Tunnelstrecken, sodass hier z.B. der City-Tunnel fälschlicherweise als Hotspot aufällt.